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Zwei lustige Geschichten in denen Till Eulenspiegel, der Protagonist eines mittelniederdeutschen Volksbuchs, sich mit der Schneider-Zunft anlegt. Die Germanistik spricht heute von einem Schwank- bzw. Prosaroman.

Inhalt

1. Geschichte

Die 48. Historie sagt, wie Eulenspiegel die Schneider im ganzen Sachsenlande zusammenrief; er wolle sie eine Kunst lehren, die ihnen und ihren Kindern zugute kommen solle.

Als Till Eulenspiegel einmal in Rostock war, da kam er auf die Idee, alle Schneider aus der Umgebung anzuschreiben. Er bat sie zu einem Seminar in die Stadt. Dabei wollte er ihnen von großen Neuigkeiten für das Schneiderhandwerk berichten.

Natürlich nahmen alle Schneider der Umgebung die Einladung an. Wer möchte so einen Vortrag schon verpassen! Als sie zur verabredeten Stunde in dem Saal eingetroffen waren, begann Eulenspiegel sogleich mit seiner Rede.

»Meine Herren«, sagte er, »ich möchte euch gerne berichten, dass ihr nur eine Schere, einen Faden, einen Fingerhut und ein gutes Stück Stoff benötigt, um euer Handwerk auszuüben. Aber vergesst nie, in den Faden nach dem Einfädeln in das kleine Nadelöhr einen Knoten zu machen, denn sonst rutscht er euch wieder raus.«

Die Schneider sahen sich irritiert an. War das nicht das, was sie sowieso jeden Tag taten? Wo waren die Neuigkeiten, was sollten sie hier lernen?

Einem der Schneider wurde es schließlich zu bunt: »Das alles wissen wir seit 1000 Jahren«, rief er aus dem Zuschauerraum Till Eulenspiegel zu. »Wie alt bist du?«, wollte dieser wissen. Der Gefragte antwortete: »45 Jahre«. »Wie kannst du das alles dann schon seit 1000 Jahren wissen?«, fragte Till nun. Da war der Schneider sehr verdutzt.

Und alle sahen sehr schnell ein, dass auch sie von Till Eulenspiegel veralbert worden waren. Als sie ihn aber aus der Halle jagen wollten, da war er schon weg.

1. Geschichte

Die 46. Historie sagt, wie Eulenspiegel sich bei einem Schneider verdingte und unter einer Bütte nähte.

Eulenspiegel wanderte auch einmal nach Berlin. Dort bekam er Arbeit bei einem Schneider.

Eines Tages saß er in der Werkstatt und nähte. Da kam der Meister und sprach: „Knecht, nähe so, dass man es nicht sieht!“ Da nahm Eulenspiegel den Anzug und das Nähzeug und kroch damit in ein großes Fass. Dort nähte er fleißig weiter. Der Meister war erstaunt und fragte:
„Was machst du in dem Fass?“ Eulenspiegel antwortete: „Meister, du hast gesagt, ich soll so nähen, dass man es nicht sieht. Hier sieht man es nicht.“
„So meinte ich es nicht“, sagte der Schneider. „Du sollst so sauber nähen, dass man die Naht nicht sieht. Komm wieder heraus und nähe so, dass man es sehen kann!“
Da kam Eulenspiegel wieder aus dem Fass heraus, setzte sich auf den Tisch und nähte dort weiter.

Einige Tage danach saßen Eulenspiegel und der Schneider wieder in der Werkstatt. Sie hatten den ganzen Tag gearbeitet. Nun war es Abend. Der Schneider war müde und wollte schlafen gehen. Aber Eulenspiegel sollte noch arbeiten. Der Schneider hatte eine Jacke genäht. Sie war fast fertig, nur die Ärmel mussten noch angenäht werden. Der Schneider gab Eulenspiegel die Jacke und die Ärmel und sagte: „Knecht, wirf die Ärmel noch an die Jacke und gehe dann auch ins Bett!“
„Geh nur schlafen“, antwortete Eulenspiegel. „Ich werde die Arbeit schon richtig machen.“ Der Meister ging ins Bett. Nun hängte Eulenspiegel die Jacke auf einen Bügel, nahm die Ärmel und warf sie gegen die Jacke. Aber die Ärmel blieben nicht daran hängen. Sie fielen immer wieder herab. So verging die Nacht.
Am Morgen kam der Meister in die Werkstatt. Da sah er, was Eulenspiegel machte. „Knecht, was machst du da?“, fragte er.
Eulenspiegel antwortete: „Meister, du hast gesagt, ich soll die Ärmel an die Jacke werfen. Das mache ich schon die ganze Nacht. Aber die Ärmel bleiben nicht daran hängen.“
„Du Dummkopf!“, rief der Meister. „So meinte ich es nicht. Ich meinte, du sollst die Ärmel annähen.“
„Meister“, sagte Eulenspiegel, „du sagst immer etwas und meinst es dann ganz anders. Warum hast du nicht gesagt, dass ich die Ärmel annähen soll? Nun musst du selbst die Ärmel an die Jacke annähen. Ich bin jetzt müde und will schlafen.“
„Nein“, sagte der Meister, „ich bezahle dich nicht für das Schlafen.“

So zankten sie sich eine ganze Weile und wurden sich nicht einig. Da packte Eulenspiegel seine Sachen zusammen und wanderte in eine andere Stadt.

 


 

Anmerkung: Till Eulenspiegel war kein Hofnarr und wurde anfangs auch nicht mit Narrenattributen dargestellt. In späteren Illustrationen wurde die Narrenkappe sein wichtigstes Attribut und Erkennungszeichen, häufig mit „Eselsohren“ und/oder Schellen besetzt.