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Der Essay „Naturbeschreibung als eigener Zweig der Literatur“ stammt aus der Feder von Alexander von Humboldt.

Indem ich nunmehr das Naturgemälde beendige, das ich aufzustellen bemüht gewesen, bleibt es mir nur übrig zu danken für die Teilnahme, welche mein Bestreben das Bild eines Natur Ganzen zu entwerfen, gefunden hat. Doch will ich diese Versammlung nicht ermüden mit der Schilderung eines Gefühls, das zu seiner Dauer keine Erneuerung bedarf, und jetzt nur noch hinzufügen, welche Ursachen in der neuesten Zeit dem Studium der Natur so fördernd gewesen sind, und wodurch die Liebe zur Betrachtung der Natur so lebhaft erregt worden ist.

Eine mehr ästhetische Beschreibung der Naturwissenschaften überhaupt mag dazu beigetragen haben: der Anblick der schönen Pflanzenformen in den botanischen Gärten, die in so manchen aus-gezeichneten Exemplaren ein Bild der Tropengewächse geben; und endlich die Art wie in unserer Zeit die Landschaftsmalerei die Pflanzen-Physiognomik darstellend, die Ansicht uns fremdartiger Naturszenen versinnlicht.

Wenn ich angeben soll, was in mir zuerst die Sehnsucht nach erweiterter Weltansicht erweckt, und mich zur Unternehmung großer Reisen angetrieben hat, so war es: Georg Forster's Schilderung der Südseeinseln, der Anblick des großen Drachenbaumes in dem hiesigen botanischen Garten, u, Hodges vortreffliche Zeichnungen, welche ich bei meiner frühesten Reise noch England zu sehen Gelegenheit hatte.

Wenn wir bei den Alten wahrnehmen, daß sie weniger den Einfluss beachtet haben, den der An-blick der unbelebten Natur auf den Menschen ausübt, so kommt dies wohl daher, daß der Mensch und das Studium seiner Kräfte und Leidenschaften, ihnen das Höchste und Einzige schien. Nicht daß bei ihnen Beispiele fehlten, wie Einzelne besonders von der Natur angeregt worden sind. So hat uns Plinius eine schöne Beschreibung seiner beiden Villen Laurentinum und Tuscum hinterlassen. Nie aber wurde bei den Griechen und Römern die Naturbeschreibung ein eigener Zweig der Literatur, sondern die Landschaft diente gewissermaßen nur als Hintergrund um den historischen Figuren mehr Haltung zu geben. Dagegen scheint die Naturbetrachtung den indogermanischen Stämmen eigentümlich; und man braucht nicht anzunehmen, daß das raue Klima und die Entbehrung einer schönen Natur den Genuss derselben bei den germanischen Völkern geschärft habe, da sich bei den südlichen Indern und Persern die ähnliche Richtung findet.

In neuerer Zeit finden wir die erste ästhetische Beschreibung der Naturszenen beim Kardinal Bembo, der in einer eignen kleinen Blumenschrift sein Aufsteigen auf den Ätna schildert, und auf eine reizende Weise die Veränderung der Vegetationsverhältnisse malt.

  1. Später bei genauerer Erforschung aller Erdteile, und bei mehr verbreiteten allgemeinen Naturkenntnissen, treten unsere Männer auf, denen wir ebenso gründliche als geschmackvolle Naturbeschreibungen danken.
  2. Zuerst nennen wir Buffon, der obgleich großartig in seinen Ansichten, doch mehr pomphaft malt, als individuell, und dessen Schilderungen eine gewisse Kälte haben, weil ihn die eigne Ansicht der exotischen Natur abgeht.
  3. An Wahrheit und Anmut übertrifft ihn der jüngere Forster. Er entwirft ein sehr geschmackvolles Naturbild, in dieser Art das Erste, und schildert nicht nur lebhaft den Anblick der Tropenwelt, sondern berücksichtigt auch die verschiedenen Sitten und Rasen der Völker. Später als G. Forster liefert Bernardin de St. Pierre gelungene Naturschilderungen, die gewissermaßen dramatisch sind, in so fern historische Figuren sich von landschaftlichen Hintergrunde sondern. Paul et Virginie sowohl, als die "Etudes de la nature" enthalten schöne Bilder, die jedoch mit Vorsicht zu betrachten sind, da falsche Axiome hin und wieder den Verfasser verleiten, der Wahrheit Abbruch zu tun. Chateaubriand stellt in der "Atala" ein eben so reizendes Bild der südlichen Natur auf, als er im »Genie du christianisme« die Missionen mit Wahrheit, und der Natur getreu schildert. So auch malt er mit eigentlichen Localfarben das südliche Italien, Ägypten, Jerusalem, das gelobte Land bis zum toten Meere, und gibt uns in seinem neuesten Werke den Abencerragen, den Anblick der Sierra Nevada in Granada, des höchsten Gebirges in Spanien.
  4. Vor allen aber erwähnen wir hier den hohen Meister [Goethe], dessen Werke ein so tiefes Gefühl für die Natur durchdringt. Wie im Werther, so in der Reise, in der Metamorphose der Pflanzen, überall klingt dies begeisterte Gefühl an und berührt uns gleich wie »ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht.«

Bei den Franzosen bilden diese Schilderungen der Natur besonders der exotischen, einen eignen Zweig der Literatur, die "poësie descriptive". Es ist nicht zu verkennen, daß man hierbei mitunter auf Abwege geraten ist, in so fern eine gezierte Schwülstigkeit gar oft den Mangel des inneren Gefühls ersetzen muß. Es ist immer gefährlich bei der Schilderung großer Gegenstände sich ungemessen des Schmucks der Rede zu bedienen, wenn auch der Hauch der Poesie niemals fehlen sollte. Eine Hauptsache liegt darin, daß derjenige welcher das Bild aufstellt, ganz in demselben aufgeht, und sich selbst der Betrachtung entzieht.

Quelle: Alexander von Humboldt: Über das Universum. Kosmosvorträge 1827/28 in der Berliner Singakademie. (authentische Vorlesungsmitschrift - Hg. J. Hamel, K.-H. Tiemann). Frankfurt: Insel 1993, 210 – 213.

Anmerkung: Alexander von Humboldt (1769 - 1859) war ein deutscher Naturforscher, Geograf und Entdecker. Er war assoziiertes Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften und Präsident der Société de géographie de Paris. Durch die Qualität der topografischen Aufnahmen und der Proben von Fauna und Flora, die er auf seinen Expeditionen nahm, legte er die Grundlage für wissenschaftliche Erkundungen.

 

Siehe auch folgende Auszüge aus seinen Publikationen: Naturbeschreibung als eigener Zweig der Literatur, Bericht zur Reise durch die Tropen der Neuen Welt, Über die Wasserfälle des Orinoco bei Atures und Maipures und Vorlesungen über das Universum.