Lesen bildetLesen bildet

Der historische Roman Die Vermessung der Welt (2005) des österreichischen Autors Daniel Kehlmann behandelt das Leben des deutschen Mathematikers Carl Friedrich Gauß (1777 – 1855) und des deutschen Geographen Alexander von Humboldt (1769 – 1859). Humboldt wurde auf seinen Reisen von dem französischen Forscher Aimé Bonpland (1773 – 1858) begleitet, Er beschreibt die zahlreichen bahnbrechenden Methoden zur Vermessung der Welt die vonn beiden Wissenschaftlern etabliert worden sind sowie die Reisen von Humboldt und Bonpland nach Südamerika. Eine Nebenhandlung fiktionalisiert den Konflikt zwischen Gauß und seinem Sohn Eugen; während Eugen Sprachwissenschaftler werden wollte, ordnete sein Vater an, dass er Jura studieren sollte.

Das Buch ist im Rowohlt Verlag erschienen und wurde ein internationaler Bestseller. Eine Literaturverfilmung unter der Regie von Detlev Buck und mit Florian David Fitz sowie Albrecht Schuch in den Hauptrollen wurde 2012 veröffentlicht.

Im September 2005 erschien der Roman als Hörbuch auf 5 CDs (ca. 345 Minuten), gelesen von Ulrich Noethen.
Das Buch wurde 2007 vom Norddeutschen Rundfunk als Hörspiel (ca. 172 Minuten) produziert und ist auch im Handel auf 3 CDs erhältlich.

Inhalt

Zusammenfassung

Der Roman beginnt im Jahr 1828 mit der Reise von Carl Friedrich Gauß, dem "Fürsten der Mathematik", der in Begleitung seines Sohnes Eugene auf Einladung des geographischen Forschers Alexander von Humboldt1 zu einem Naturforscherkongress nach Berlin reist. Der Text geht dann in der Zeit zurück, um anschließend abwechselnd die Kindheit und die ersten Entdeckungen der beiden Personen darzustellen. Anschließend beschreibt er die kurze Zeit des Kongresses, in der sie sich begegneten, bevor er mit der Beschreibung des Schicksals von Gauß' Sohn endet.

Handlung

Der Roman beginnt 1828 mit einer Reise von Gauß, dem "Fürsten der Mathematik", von Göttingen nach Berlin zur historisch verbürgten 17. Tagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, zu der ihn Humboldt eingeladen hatte. Von dieser Reise an korrespondieren die beiden Wissenschaftler miteinander und tauschen sich über ihre Projekte aus.

In diesen Rahmen sind die chronologischen Biografien von Gauß und Humboldt eingebettet, die in wechselnden Kapiteln erzählt werden.

Carl Friedrich Gauß wächst in ärmlichen Verhältnissen unter der großen Fürsorge seiner Mutter auf. Sein Frauenbild ist daher sehr stark von seiner Mutter geprägt. Dank seiner guten schulischen Leistungen erhält Gauß ein Stipendium des Braunschweiger Herzogs. Da er sich mit weniger intelligenten Menschen kaum versteht, verbringt er die meiste Zeit allein. Aufgrund seiner Isolation widmet er sich der Mathematik. Seine ärmlichen Verhältnisse zwingen ihn dazu, den Beruf des Landvermessers zu ergreifen. Dabei lernt er seine zukünftige Frau Johanna kennen. Im Laufe der Zeit vollendet er sein Lebenswerk, die "Disquisitiones Arithmeticae". Außerdem betreibt er eine Sternwarte, die ihm finanzielle Sicherheit bietet. Völlig in seine Arbeit vertieft, verpasst er die Geburt seines ersten Sohnes. Als seine Frau Johanna während ihrer dritten Schwangerschaft stirbt, heiratet Gauß Minna, die beste Freundin von Johanna, um seinen Kindern eine Mutter zu geben.

In der Zwischenzeit wird er mit der Vermessung des Königreichs Westphalen betraut, bei der ihm sein Sohn Eugen assistiert. Während der Arbeit gerät er immer wieder in Konflikt mit Eugen, den er für einen völlig beschränkten Taugenichts hält.

Schon in jungen Jahren wird Alexander von Humboldt, der ohne seinen Vater in einem wohlhabenden Umfeld aufwächst, in vielen Fächern intensiv unterrichtet. Schon früh wird deutlich, dass sein großes Interesse der Forschung gilt, der er sich nach dem Tod seiner Mutter ganz widmet. Er reist nach Frankreich und lernt dort Aimé Bonpland kennen, mit dem er eine Forschungsreise in die spanischen Kolonien und nach Lateinamerika unternimmt. Auf der Suche nach dem Verbindungskanal zwischen dem Orinoko und dem Amazonas entdecken sie eine Höhle in Neu-Andalusien, in der sich Humboldts Zweifel an der Theorie des Neptunismus bestätigen.

Im Laufe seines Lebens machte Humboldt immer wieder Experimente an sich selbst, um seine Theorien zu überprüfen. Mit der Einnahme von Curare zeigt er zum Beispiel, dass dieses Gift nur dann tödlich ist, wenn es direkt in die Blutbahn gelangt. In Ecuador besteigen die beiden Forscher den damals höchsten Berg der bekannten Welt, den Chimborazo. Schlechte Wetterbedingungen verhindern jedoch die endgültige Besteigung des Gipfels. Dieses Scheitern wird jedoch vor der Öffentlichkeit verheimlicht, und so gelten die beiden als Weltrekordhalter. Sie reisen weiter nach Mittelamerika. Dort besichtigen sie die Ruinen von Teotihuacán, und Humboldt entdeckt, dass der Grundriss der Stadt ein riesiger Kalender ist. Ihre letzte Station beschreibt ihr Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson.

In den verbleibenden Kapiteln 11-16 nimmt die Handlung des Romans wieder den Verlauf des ersten Kapitels auf. In Humboldts Anwesen tauschen Gauß und Humboldt ihre Lebenserfahrungen und Ansichten aus. Dabei erfährt Gauß, dass sein Selbstmordversuch gescheitert wäre, wenn er das Gift Curare verwendet hätte. Eugen flieht aufgrund erneuter Misshandlungen durch seinen Vater und wird während einer geheimen Studentenversammlung von der Polizei verhaftet. Gauß, der solche großen Versammlungen nicht gewohnt ist, verlässt den Naturforscherkongress in Berlin vorzeitig und bevor er dem König vorgestellt werden kann. Daraufhin streiten er und Humboldt über das wahre Wesen der Wissenschaft, bis sie durch die Nachricht von Eugens Verhaftung unterbrochen werden. Humboldt versucht, den Gendarmeriekommandanten Vogt zur Freilassung Eugens zu bewegen, scheitert aber an der undiplomatischen Intervention von Gauß. Dank Humboldts Intervention wird Eugen später freigelassen, muss aber das Land verlassen und nach Amerika auswandern.

Als sich die Wege der Entdecker trennen, nimmt Humboldt die Einladung Russlands an, eine weitere Expedition zu unternehmen. Er steht in engem Briefkontakt mit Gauß, der sich in der Zwischenzeit mit dem Magnetismus beschäftigt. Beide Männer stellen fest, dass ihre Vitalität mit zunehmendem Alter nachlässt und sie von einer neuen Generation von Wissenschaftlern abgelöst werden.

Figuren

Eine Liste der wichtigsten Figuren (Charaktere & Personen) des Romans "Die Vermessung der Welt":

Alexander von Humboldt

Alexander von Humboldt (1769 - 1859) war ein deutscher Forschungsreisender mit einem weit über Europa hinausreichenden Wirkungsfeld. In seinem über einen Zeitraum von mehr als sieben Jahrzehnten entstandenen Gesamtwerk schuf er einen neuen Wissens- und Reflexionsstand des Wissens von der Welt und wurde zum Mitbegründer der Geographie als empirischer Wissenschaft. Er war der jüngere Bruder von Wilhelm von Humboldt.

Mehrjährige Forschungsreisen führten Alexander von Humboldt nach Lateinamerika, in die USA sowie nach Zentralasien. Wissenschaftliche Feldstudien betrieb er unter anderem in den Bereichen Physik, Geologie, Mineralogie, Botanik, Vegetationsgeographie, Zoologie, Klimatologie, Ozeanographie und Astronomie. Weitere Forschungen betrafen die Wirtschaftsgeographie, die Ethnologie, die Demographie, die Physiologie und die Chemie. Alexander von Humboldt korrespondierte mit zahlreichen Experten verschiedener Fachrichtungen und schuf so ein wissenschaftliches Netzwerk eigener Prägung.

In Deutschland erlangte Alexander von Humboldt vor allem mit seinen Werken Ansichten der Natur und Kosmos außerordentliche Popularität. Schon zu Lebzeiten genoss er im In- und Ausland ein hohes Ansehen und wurde als der größte Naturforscher seiner Zeit betrachtet. Die Akademie der Wissenschaften zu Berlin würdigte ihn als die erste wissenschaftliche Größe seines Zeitalters , dessen Weltruhm sogar den von Leibniz überrage. Die Pariser Akademie der Wissenschaften verlieh ihm den Beinamen „Der neue Aristoteles“.

Die Vielschichtigkeit von Humboldts Werk und Vita brachte es mit sich, dass sich nach seinem Tod zahlreiche gesellschaftliche und politische Strömungen für ihre jeweiligen Ziele auf ihn beriefen. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts – unter dem Eindruck einer umfassenden Globalisierung – wird sein Wirken als Pionier des ökologischen Denkens rezipiert, für den die Einsicht galt: „Alles ist Wechselwirkung“.

Carl Friedrich Gauß

Carl Friedrich Gauß (1777 - 1855) war ein deutscher Mathematiker, Statistiker, Astronom, Geodät, Elektrotechniker und Physiker. Wegen seiner überragenden wissenschaftlichen Leistungen galt er bereits zu seinen Lebzeiten als Princeps mathematicorum (Fürst der Mathematiker). Seine Tätigkeit erstreckte sich neben der Reinen Mathematik auch auf angewandte Gebiete, zum Beispiel war er mit der Landesvermessung des Königreichs Hannover beauftragt, er erfand zusammen mit Wilhelm Eduard Weber als einer der Ersten elektromagnetische Telegrafie und beide wandten sie als Erste über längere Strecken an, er entwickelte Magnetometer und er initiierte ein weltweites Netz von Stationen zur Erforschung des Erdmagnetismus.

Aimé Bonpland

Aimé Bonpland (eigentlich Goujaud; 1773 - 1858) war ein französischer Naturforscher, Arzt und Botaniker. Sein offizielles botanisches Autorenkürzel lautet „BONPL“. Er ist für seine Amerika-Expedition mit Alexander von Humboldt berühmt. Die Stadt Bonpland (Argentinien) hieß früher "Santa Ana", änderte aber ihren Namen zu Ehren des französischen Forschers, der dort am 11. Mai 1858 im Alter von 85 Jahren starb.

Rezeption

Der Roman wurde schnell zu einem Bestseller in Deutschland (37 Wochen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste), dann international und erreichte Platz 2 der New York Times-Bestsellerliste der internationalen Buchverkäufe des Jahres 2006.

Der Roman widmet sich den Biografien zweier Personen, die in Deutschland in der Öffentlichkeit sehr bekannt sind, wo sie allgemein als Helden der Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts gelten. Ihr Ruhm, vor allem für Gauß, ist auch auf internationaler Ebene bedeutend. In Die Vermesser der Welt stellt Kehlmann sie schonungslos und mit viel Ironie dar und zeichnet ein Bild, das weit entfernt von dem traditionellen Bild dieser illustren Persönlichkeiten ist. Die Wissenschaft, die sich im 19. Jahrhundert rasant entwickelte, ist ein zentrales Element des Romans, wobei sich die Handlung um die aufeinanderfolgenden Entdeckungen von Humboldt und Gauß dreht.

Auszug

Seufzend bestimmte Humboldt mit Sextant und Chronometer die Position der Stadt, wieder einmal waren die Karten ungenau gewesen. Dann legten sie ab.

Bald schon hatten sie die letzten Spuren der Besiedlung hinter sich. Überall sahen sie Krokodile: Die Tiere schwammen im Wasser wie Baumstämme, dösten am Ufer und rissen die Mäuler auf, über ihre Rücken trippelten kleine Reiher. Der Hund sprang ins Wasser, sofort schwamm ein Krokodil auf ihn zu, und als Bonpland ihn wieder ins Boot zog, blutete seine Pfote von den Bissen eines Piranhas. Lianen berührten die Wasserfläche, Stämme neigten sich über den Fluß.

Sie vertäuten das Boot, und während Bonpland Pflanzen sammelte, machte Humboldt einen Spaziergang. Er stieg über Wurzeln, zwängte sich zwischen Stämmen hindurch, strich die Fäden eines Spinnennetzes aus seinem Gesicht. Er löste Blüten von Sträuchern, brach einem besonders schönen Falter mit geschicktem Griff den Rücken und legte ihn liebevoll in seine Botanisiertrommel. Dann erst bemerkte er, daß er vor einem Jaguar stand.

Das Tier hob den Kopf und sah ihn an. Humboldt machte einen Schritt zur Seite. Ohne sich zu bewegen, zog das Tier eine Lefze hinauf. Humboldt wurde starr. Nach sehr langer Zeit legte es den Kopf auf die Vorderpfoten. Humboldt machte einen Schritt zurück. Und noch einen. Der Jaguar sah ihn aufmerksam, ohne den Kopf zu heben, an. Sein Schwanz schlug nach einer Fliege. Humboldt drehte sich um. Er horchte, aber er hörte nichts hinter sich. Mit angehaltenem Atem, die Arme an den Körper gepreßt, den Kopf auf die Brust gesenkt und den Blick auf die Füße geheftet, ging er los. Langsam, Schritt für Schritt, dann allmählich schneller. Er durfte nicht stolpern, er durfte nicht zurückblicken. Und dann, er konnte nicht anders, begann er zu laufen. Äste hieben ihm ins Gesicht, ein Insekt prallte gegen seine Stirn, er strauchelte, hielt sich an einer Liane fest, ein Ärmel blieb hängen und zerriß, er schlug Zweige aus dem Weg. Schwitzend und außer Atem erreichte er das Boot.

Sofort ablegen, keuchte er.
Bonpland griff nach dem Gewehr, die Ruderer erhoben sich.
Nein, sagte Humboldt, ablegen!
Das seien gute Waffen, sagte Bonpland. Man könnte das Vieh erlegen und hätte eine schöne Trophäe.
Humboldt schüttelte den Kopf.
Aber warum nicht?
Der Jaguar habe ihn gehen lassen.

Bonpland murmelte etwas von Aberglauben und machte die Leinen los. Die Ruderer grinsten. In der Mitte des Stromes kam Humboldt die eigene Furcht schon nicht mehr verständlich vor. Er entschied, die Ereignisse im Tagebuch so zu beschreiben, wie sie sich hätten abspielen sollen: Er würde behaupten, sie wären zurück ins Unterholz gegangen, die Gewehre im Anschlag, doch ohne das Tier zu finden.

Noch bevor er fertiggeschrieben hatte, begann ein Wolkenbruch. Das Boot füllte sich mit Wasser, hastig steuerten sie an Land.

Quelle: Die Vermessung der Welt; 23. Aufl. 2006, S. 107 f. Anmerkung: A.v.H. spricht in seinen eigenen Schriften abwechselnd vom „Amerikanischen Tiger“ oder „Jaguar“.

Literatur