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Rosa Montero Gayo (* Januar 1951) ist eine spanische Journalistin und Autorin zeitgenössischer Belletristik. Sie hat sowohl in ihrem Heimatland Spanien als auch im Ausland zahlreiche Auszeichnungen für ihre journalistische Arbeit und ihre literarischen Werke erhalten, u. a. den Spanischen Nationalpreis für Journalismus (1981) und für Literatur (2017). Ihre auf Spanisch geschriebenen Werke sind in rund 20 Sprachen übersetzt worden.

Montero sieht ihre große Leidenschaft im Schreiben von Romanen: „Crónica del desamor“ (Chronik der Gleichgültig­keit - oder Lieblosigkeit, 1979) zeigt noch in Formen dokumentarischer Litera­tur die Be­schränkungen in der Frauenrolle als Erbe der Franco-Zeit; „La función Delta“ (Die Delta-Funktion, 1981) zeigt besonders die Unwirtlichkeit der modernen Städte und setzt sich in Form eines Ta­gebuchs aus dem Jahre 2010 mit den Grundthemen Liebe, Einsamkeit und Tod sowie Schreiben ausein­ander; „Te trataré como a una reina“ (Ich werde dich behandeln wie eine Königin, 1983; dt. 1990) wirkt wie ein groteskes Melodrama und zugleich wie eine Sozialstudie gescheiterter Existenzen in einer Großstadt wie Madrid im Rahmen eines kriminali­stisch erscheinenden Falles; es folgen 1988 „Geliebter Gebieter“ und 1990 „Temblor“ (Zittern, dt. 1991), in dem in Form eines Science-Fiction-Romans die Protagonistin wie in einem Bildungsroman auf der Suche nach den Möglichkeiten menschlichen Zusammenlebens ist.

Inhalt

Frühes Leben

Als Tochter eines Stierkämpfers und einer Hausfrau wurde Montero in Cuatro Caminos, einem Stadtteil von Madrid, geboren. Aufgrund einer Tuberkulose-Erkrankung musste sie zwischen ihrem fünften und neunten Lebensjahr zu Hause bleiben und begann in dieser Zeit intensiv zu lesen und zu schreiben. Anschließend besuchte sie das Beatriz-Galindo-Institut in Madrid, und mit 17 Jahren begann sie ihr Studium an der Fakultät für Philosophie und Kunst der Universität Madrid (Facultad de Filosofía y Letras). Im folgenden Jahr wurde sie an der Fakultät für Journalismus aufgenommen. Während ihrer Studienzeit wirkte sie in freien Theatergruppen mit.

Karriere

Nach dem Studium begann sie als Journalistin zu arbeiten, und 1976 wurde sie Mitarbeiterin von El País. Im Jahr 1977 begann sie, Interviews in der Sonntagsausgabe der Zeitung zu veröffentlichen, und im folgenden Jahr erhielt sie als erste Frau den Preis "Manuel del Arco" für ihre Arbeit. Außerdem veröffentlichte sie 1979 ihren ersten Roman, Crónica del desamor (Chronik der Feindschaft). 1980 erhielt sie den Nationalen Journalistenpreis für ihre Artikel und literarischen Reportagen, und im selben Jahr wurde sie zur Chefredakteurin von El País Semanal ernannt.

Im Jahr 1981 veröffentlichte sie La función Delta (Die Delta-Funktion), und im folgenden Jahr erschien eine Sammlung ihrer zuvor in El País veröffentlichten Interviews unter dem Titel Cinco años de país" (Fünf Jahre El País). Der Roman Te trataré como una reina (Ich werde dich wie eine Königin behandeln) folgte 1983 und war ein kommerzieller Erfolg. Sie wurde 1987 mit dem Weltpreis für Interviews ausgezeichnet und veröffentlichte 1990 Temblor (Tremor).

Ihre erstes Kinderbuch, El nido de los sueños (Das Nest der Träume), erschien 1992, und in den folgenden Jahren veröffentlichte sie Bella y oscura (Schön und dunkel, 1993) und La vida desnuda (Das nackte Leben, 1994). Im Jahr 1994 wurde sie mit dem Journalistenpreis ausgezeichnet und 1997 erhielt sie für ihr Werk La hija del caníbal (Die Tochter des Kannibalen) den Frühjahrs-Romanpreis. 1999 veröffentlichte sie Pasiones (Leidenschaften) und 2002 Estampas bostonianas y otros viajes. Im Jahr 2003 veröffentlichte sie eines ihrer besten Werke, La loca de la casa (Die Verrückte im Haus). Dieses Buch wurde 2003 mit dem Preis Qué Leer für das beste in Spanien veröffentlichte Buch und 2004 mit dem Grinzane-Cavour-Preis für das beste in Italien veröffentlichte ausländische Buch ausgezeichnet. Im Jahr 2005 veröffentlichte sie Historia del Rey Transparente (Geschichte des transparenten Königs), das ebenfalls mit dem Preis Qué Leer als bestes in Spanien veröffentlichtes Buch des Jahres 2005 ausgezeichnet wurde.

Ihre Kurzgeschichte El abuelo (Der Großvater) wurde in Rainy Days - Días de lluvia: Kurzgeschichten zeitgenössischer spanischer Schriftstellerinnen, wurde in einer von Montserrat Lunati herausgegebenen Anthologie aufgenommen, zusammen mit einer Übersetzung ins Englische.

Geliebter Gebieter

Rosa Montero: Geliebter Gebieter (Amado Amo). Roman. Spanien 1988. Dt. 1989 - Kapitel 7, Ausschnitt

Der Roman artikuliert in den Worten der Volkswirtschaftlerin Clara eine explizite Systemkritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem: „und während im übrigen Land neue Winde wehten, die Leistungsbezogenheit und Konkurrenzdenken mit sich brachten, betraten sie an der Hand ihrer neuen amerikanischen Besitzer direkt die Ära des unbarmherzigen Unternehmenskampfes, wobei rasant ein gutes Dutzend sozialer Zwischenstationen übersprungen wurde und man vom rückständigsten Feudalismus in den extremsten Kapitalismus geriet.“

Textausschnitt

[...] Cesar schlug ein Bein über das andere. Stellte sie wieder nebeneinander. Knabberte aus Mangel an Zigaretten an seinen Fingernägeln. Stand auf und sah aus dem Fenster. Unten lag ein kleiner Garten mit einer hölzernen Bank und einem Teich ohne Wasser. Er brauchte zu lange, dieser Medizinmann, um zurückzukommen. Die Uhr war bei seinen Sachen geblieben, aber Cesar schätzte, dass schon mindestens zehn Minuten vergangen sein mussten.

Aber halt, Moment. Und wenn dieser Typ für immer verschwunden war? Und wenn für ihn die Visite zu Ende war? Als er ging, hatte er da wirklich gesagt, ich komme sofort zurück? Oder hatte Cesar das Zischeln falsch verstanden und tatsächlich hatte er gesagt Sie können gehen? Was erwartete man von ihm? Was sollte er machen? War es denn nicht einfach lächerlich, wie ein Blödmann in diesem Zimmer auszuharren? Die Ruhelosigkeit kletterte in Form eines Schüttelfrosts seine Wirbelsäule hinauf. Was für eine absurde Situation, sagte sich Cesar mit wachsendem Ärger: Blieb er hier wie ein vergessenes Möbelstück im Sprechzimmer eines Krankenhauses sitzen. Er näherte sich auf Zehenspitzen der Türe und öffnete sie vorsichtig: Auf dem langen Gang war niemand zu sehen. Was wäre richtig, zu bleiben oder zu gehen? Er bemerkte jetzt, dass er sich nicht gut fühlte; tatsächlich war ihm ziemlich übel. Sicher war der leere Magen daran schuld. Und vielleicht trug auch die Verwirrung ihren Teil dazu bei.

Aber was war er doch für ein Dummkopf. Wie hatte er nur zu offen mit dem Arzt reden können, wo er doch wusste, dass diese Abteilung des Krankenhauses oft für die Golden Line arbeitete. Es war höchstwahrscheinlich, dass dieser Typ Morton kannte, oder Quesada; und dass er ihnen alle die Ungeheuerlichkeiten erzählen würde, die er von sich gegeben hatte. Cesar hatte nämlich lang und breit über die Agentur geredet. Er war sogar so weit gegangen, sie mit der Armee zu vergleichen. Als er mit dem Militärdienst dran war, hatte Cesar erklärt, habe er einen Monat damit verbracht, Steine von einer Ecke der Kaserne in die andere zu transportieren. Es lagen dort in einem Hofe zwei Tonnen Steingeröll. Stücke von Steinen, die, wer weiß wie, dort gelandet waren.

Also gut, Cesar und seine Leidensgenossen mussten die Steine auflesen, den Hof überqueren und sie in der gegenüberliegenden Ecke aufhäufen, bis der ganze Berg dort lag. Und wenn dann alles Geröll bildschön aufgehäuft auf seinem neuen Bestimmungsort lag, gab man Befehl, es wieder zu seinem ursprünglichen Platz zurückzutragen. Es war, wie Cesar mit der Zeit begriff, ein nie endendes Spiel; und Generationen von Rekruten hatten sich an diesen Stei­nen die Fingernägel kaputtgemacht. Es war nicht gerade ein körperlich übermäßig anstrengender Job. Die Stücke waren nicht groß, und obwohl es harte Arbeit war, ermüdete es weniger als die Manöver. Aber was es einfach unerträglich machte, war die Sinnlosigkeit; die Nutzlosigkeit des Hin­ und Herschleppens; die Würdelosigkeit, die darin bestand, einem schwachsinnigen Befehl Folge leisten zu müssen. Aber halt, dachte jetzt etwa der junge Arzt, eine solche Tätigkeit wäre wirklich sinnlos? Falls er das nämlich dachte, war er völlig auf dem Holzweg. Steine unendlich von einer Ecke in die andere zu befördern, hatte seine Logik, eine ohne Zweifel etwas krankhafte, aber exakte Logik. Auf diese Weise nämlich ließ sich das menschliche Wesen zu blindem Gehorsam abrichten; man brach seinen Stolz, man machte seine Kritikfähigkeit zunichte, man raubte ihm den Verstand. Es war die perfekte Grußform für Unterwürfigkeit. Und das war die Methode, die die Golden Line und alle Golden Line der Welt anwendeten. So oder ähnlich hatte Cesar sich ausgedrückt. All das hatte er dem jungen Arzt erzählt. Wie einfältig er doch war, wie ungeschickt.

Ich bin sofort wieder da. Sie können gehen. Cesar wiederholte mehrere Male leise diese Sätze, und erwog dabei die Möglichkeit einer Verwechslung, eines Verwischens der Silben, eines Überlappens der Reibelaute.
Ichbinsofortwiederdasiekönnengehen. Wenn man sie nur schnell genug und ohne genau zu vokalisieren, aussprach, waren die Wörter am Ende fast nicht mehr zu unterscheiden. Hier wurde das Schicksal seines Lebens offensichtlich, dachte Cesar verbittert: dieses Herumschlagen mit nie endenden Missverständnissen. Im Zimmer war es erstickend heiß, wie in einem Backofen. Cesar stand aufs neue auf, öffnete die Tür. Bleiben oder weggehen? Was wäre das richtige Verhalten? Was zum Teufel erwartete man von ihm. Blieb er, konnten Stunden vergehen, bevor eine Krankenschwester das Zimmer betreten würde; oder sogar der Arzt. Was, Sie sind immer noch hier!, würden sie erstaunt ausrufen, und ihn dabei betrachten, wie man einen armen Irren betrachtet. Aber, ginge er, würde der Arzt wahrscheinlich im selben Augenblick zurückkommen. Wo ist denn dieser Schwachkopf hin! würde er, starr vor Staunen, fauchen; und würde Anweisung geben, ihn in allen Gängen des Krankenhauses zu suchen. Wie auch immer er sich entschiede, Cesar war davon überzeugt, dass er sich letztendlich lächerlich machen würde. Vorsichtig schloss er die Tür und kehrte zu seinem Stuhl zurück.

Quesada. Das war ganz sicher Quesadas Schuld! O ja, jetzt war ihm alles klar, und eine plötzliche und ohnmächtige Erkenntnis überfiel ihn. Es war Quesada gewesen, der ihn vor ein paar Tagen darauf aufmerksam gemacht hatte, wie furchtbar er aussähe. Was ist denn mit dir los, Cesar? trompetete er mitten in der Agentur, du bist ja ganz grau im Gesicht, du siehst krank aus, warum lässt du dich nicht mal gründlich untersuchen? Es war Quesada gewesen. Cesar wimmerte leise und klammerte sich an seinen Stuhl.

Ruhe, immer mit der Ruhe. Es war nicht mög­lich. Aber, und wenn doch? Hatte sich der junge Arzt vielleicht nicht auf eine sehr merkwürdige Art verhalten? Am Anfang so zugänglich und auf­merksam? Horchte ihn heimlich still und leise aus! Und als er gehört hatte, was er wissen wollte, hatte er wieder diese berufsmäßige Kälte eines einen ausspionierenden Arztes angenommen. Und andererseits, diese Bemerkung Quesadas, war das nicht eine höchst verdächtige Freundlichkeit? Und wenn das alles ein abgekartetes Spiel wäre? Wenn man ihn in das Krankenhaus geschickt hätte, um seine Unfähigkeit hieb- und stichfest zu beweisen? Er hatte behauptet, die Golden Line wäre eine Gussform für Unterwürfigkeit, würde der Spion von Arzt das weitersagen? Ja, um Himmels Willen. Ja, ja, ja, Cesar hatte behauptet, die Golden Line wäre eine Gussform für Unterwürfigkeit, würde den Stolz brechen, würde einem den Verstand rauben. Asozial, ihm fehlte jegliche Solidarität mit der Firma! Das war es, was man von ihm sagen würde. Er wäre ein Unangepasster, würde man schlussfolgern. Wie war es Cesar nur in den Sinn gekommen, ein solches Pamphlet gegen den Feind loszulassen. Wo er doch im Grunde nicht einmal selbst daran glaubte. Er wischte sich die schweißnassen Hände an dem Kittel ab. Es war so heiß, dass einem das Atmen schwerfiel.

Er musste gehen. Fliehen. Sich aus dieser machiavellistischen Falle befreien. [...]

Werke

 


 

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