Die Leiden des jungen Werthers (1774) ist ein Briefroman von Johann Wolfgang von Goethe, in dem der junge Rechtspraktikant Werther bis zu seinem Suizid über seine unglückliche Liebesbeziehung zu der mit einem anderen Mann verlobten Lotte berichtet. Er wurde in der 1. Auflage zunächst anonym veröffentlicht.
Nach dem nationalen Erfolg des Dramas "Götz von Berlichingen" (1773) war dies der zweite große Erfolg von Goethe, der ihn auch auf europäische Ebene berühmt machte. Nicht zuletzt deshalb, weil er den Selbstmord seines Helden inszeniert. Kein anderes Buch Goethes wurde von seinen Zeitgenossen so oft gelesen.
Die Handlung des Romans ist insofern autobiografisch, als Goethe hier seine platonische Beziehung zu der bereits inoffiziell verlobten Charlotte Kestner (geb. Buff) literarisch verarbeitete.
Er war einer der wichtigsten Romane der Sturm-und-Drang-Zeit in der deutschen Literatur und beeinflusste die spätere romantische Bewegung. Goethe, der damals 24 Jahre alt war, vollendete den Werther in fünfeinhalb Wochen intensiver Schreibarbeit zwischen Januar und März 1774.
Inhalt
Zusammenfassung
Die Handlung erstreckt sich über den Zeitraum vom 4. Mai 1771 bis 24. Dezember 1772.
Erstes Buch
Der erste Brief ist auf den 4. Mai 1771 datiert. Werther ist ein junger Mann, der nach W (Wetzlar) zieht, um vielleicht Karriere zu machen. Dort geht er in der Natur spazieren, um sie zu zeichnen, denn er hält sich für einen Künstler. Eines Tages wird er zu einem Ball eingeladen, auf dem er eine junge Frau namens Charlotte (Lotte) kennenlernt, die Tochter eines Landvogts, die sich seit dem Tod ihrer Mutter um ihre Brüder und Schwestern kümmert. Werther weiß von Anfang an, dass Charlotte mit Albert verlobt ist. Werther verliebt sich jedoch sofort in das Mädchen, das mit ihm die Vorlieben seiner Generation teilt, insbesondere die enthusiastische und einfühlsame Dichtung Klopstocks. Werther trifft Albert und erkennt viele seiner Qualitäten: Er flieht und versucht, Charlotte zu vergessen.
Zweites Buch
Der erste Brief datiert vom 20. Oktober 1771. Werther, der in den glücklichen Anfängen des Buches Homer liest, wechselt zu der nebulösen und melancholischen Poesie Ossians. Er glaubt, gerettet zu sein, als er eine andere Frau kennenlernt. Erniedrigende Erfahrung, er muss eine Gesellschaft verlassen, als man ihn darauf hinweist, dass Bürgerliche dort nicht zugelassen sind. Gelangweilt von den Sitten und Gebräuchen der Gesellschaft, in der er sich wiederfindet, schließt sich Werther Charlotte an, die er immer mehr liebt und die nun mit Albert verheiratet ist. Der letzte Brief datiert vom 14. Dezember 1772.
Handlung
Der größte Teil von Die Leiden des jungen Werther, einer Geschichte über die extreme Reaktion eines jungen Mannes auf eine unerwiderte Liebe, wird als eine Sammlung von Briefen dargestellt, die Werther, ein junger Künstler mit einem sensiblen und leidenschaftlichen Temperament, an seinen Freund Wilhelm schreibt. Darin schildert er seinen Aufenthalt in dem fiktiven Dorf Wahlheim (nach dem Vorbild von Garbenheim bei Wetzlar), dessen Bauern ihn mit ihrer einfachen Lebensweise verzaubern. Dort lernt er Charlotte kennen, ein schönes junges Mädchen, das sich nach dem Tod der Mutter um ihre Geschwister kümmert. Werther verliebt sich in Charlotte, obwohl er vorher weiß, dass sie mit einem elf Jahre älteren Mann namens Albert verlobt ist.
Trotz des Schmerzes, den ihm das bereitet, verbringt Werther die nächsten Monate damit, eine enge Freundschaft mit den beiden zu pflegen. Sein Kummer wird schließlich so unerträglich, dass er gezwungen ist, Wahlheim zu verlassen und nach Weimar zu gehen, wo er die Bekanntschaft von Fräulein von B. macht. Er gerät in große Verlegenheit, als er vergesslich einen Freund besucht und dort unerwartet der wöchentlichen Versammlung des gesamten Adels gegenübersteht. Er wird nicht geduldet und aufgefordert zu gehen, da er kein Adeliger ist. Daraufhin kehrt er nach Wahlheim zurück, wo er noch mehr leidet als zuvor, auch weil Charlotte und Albert jetzt verheiratet sind. Jeder Tag wird zu einer quälenden Erinnerung daran, dass Charlotte seine Liebe niemals wird erwidern können. Aus Mitleid mit ihrem Freund und aus Respekt vor ihrem Mann beschließt sie, dass Werther sie nicht mehr so oft besuchen soll. Er besucht sie ein letztes Mal, und beide sind von Rührung überwältigt, als er ihr eine Passage aus seiner eigenen Übersetzung von Ossian vorträgt.
Schon vor diesem Vorfall hatte Werther angedeutet, dass ein Mitglied des Liebesdreiecks - Charlotte, Albert oder Werther selbst - sterben müsse, um die Situation zu lösen. Unfähig, jemand anderem wehzutun oder ernsthaft einen Mord in Erwägung zu ziehen, sieht Werther keine andere Wahl, als sich das Leben zu nehmen. Nachdem er einen Abschiedsbrief verfasst hat, der nach seinem Tod gefunden werden soll, schreibt er an Albert und bittet um seine beiden Pistolen, unter dem Vorwand, dass er "auf eine Reise" gehe. Charlotte nimmt die Bitte mit großer Rührung auf und schickt die Pistolen. Werther schießt sich daraufhin in den Kopf, stirbt aber erst zwölf Stunden später. Er wird zwischen zwei Lindenbäumen begraben, die er in seinen Briefen immer wieder erwähnt hatte. An der Beerdigung nehmen weder ein Geistlicher noch Albert oder Charlotte teil. Das Buch endet mit der Andeutung, dass Charlotte an einem gebrochenen Herzen sterben könnte: "Ich werde nichts über ... Charlottes Kummer sagen. ... Charlottes Leben war zum Verzweifeln."
Figuren
Eine Liste der wichtigsten Figuren (Charaktere & Personen) des Romans "Die Leiden des jungen Werthers":
- Werther - Hauptfigur, inspiriert von Goethe
- Wilhelm - ist der Freund, an den Werther die Briefe richtet und der sie organisiert
- Charlotte (Lotte) - Werthers Geliebte, Alberts Verlobte
- Albert - Charlottes Verlobter, war meist ein Gegenpol zu Werthers Gedanken
Wirkung
Werther war eines der wenigen Werke Goethes, die den ästhetischen, sozialen und philosophischen Idealen der deutschen Proto-Romantik, dem Sturm und Drang, entsprachen, bevor er und Friedrich von Schiller zur Weimarer Klassik übergingen. Der Roman wurde anonym veröffentlicht, und Goethe distanzierte sich in seinen späteren Jahren davon, da er den Ruhm bedauerte, den der Roman ihm eingebracht hatte, und die damit verbundene Aufmerksamkeit für seine eigene Jugendliebe Charlotte Buff, die damals bereits mit Johann Christian Kestner verlobt war. Obwohl er den Werther im Alter von 24 Jahren schrieb, war dies alles, wofür ihn einige seiner Besucher im hohen Alter noch kannten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Goethe seine Ansichten über die Literatur radikal geändert und die romantische Bewegung sogar als "alles, was krank ist" denunziert.
Goethe beschrieb die starke Wirkung, die das Buch auf ihn hatte, und schrieb, dass er selbst dann, wenn Werther sein Bruder gewesen wäre, den er umgebracht hatte, nicht mehr von dessen rachsüchtigem Geist hätte heimgesucht werden können. Dennoch überarbeitete Goethe das Buch für die Ausgabe von 1787 erheblich und erkannte den großen persönlichen und emotionalen Einfluss an, den Die Leiden des jungen Werther auf verlassene junge Liebende, die es entdeckten, ausüben konnten. So schrieb er 1821 an seinen Sekretär: "Es muss schlimm sein, wenn nicht jeder in seinem Leben eine Zeit hat, in der er sich fühlt, als sei Werther nur für ihn geschrieben worden". Noch fünfzig Jahre nach dem Erscheinen des Buches schrieb Goethe in einem Gespräch mit Johann Peter Eckermann über die seelische Aufgewühltheit, die er beim Schreiben des Buches durchgemacht hatte: "Das war eine Schöpfung, die ich, wie der Pelikan, mit dem Blut meines eigenen Herzens nährte."
Jugendlieben
Goethe verliebte sich sehr in die Wirtstochter Anna Katharina Schönkopf, als er sie 1766 kennenlernte. In seiner Autobiografie bezeichnet er sie als eine kleine Heilige sowie als jung, hübsch, munter, liebevoll, sittsam und wert, geehrt zu werden. Die Beziehung wurde nach 2 Jahren im gegenseitigen Einvernehmen wieder gelöst.
Er lernte auch die Pfarrerstochter Friederike Brion im Herbst 1770 kennen und lieben. Die an Friederike gerichteten Gedichte (u. a. Willkommen und Abschied, Mailied, Heidenröslein) wurden später als Sesenheimer Lieder bekannt. Ende 1971 beendete Goethe die Beziehung per Brief (immerhin nicht via Facebook-Status).
Goethe lernte „Lotte“ auf einem Tanzfest (Juni 1772) in Wetzlar kennen. Er umwarb zu der Zeit eigentlich die 17-jährige Johannette Lange. Doch sobald Goethe Charlotte kennengelernt hatte, war Johannette vergessen. Charlotte war allerdings mit Johann Christian Kestner, den sie im April 1773 heiratete. Kurz darauf zog das Paar nach Hannover (und setzte 12 Kinder in die Welt).
Seine langjährige enge "Freundin" und schwärmerische Verehrerin, Charlotte von Stein, lernte Goethe im November 1775 kennen. Die Beziehung erlitt allerdings durch die Italienreise, bei der er Weimar fluchtartig verließ, einen irreparablen Schaden.
Wenige Wochen nach seiner Rückkehr machte Goethe (39 Jahre alt) im Juli 1788 Bekanntschaft mit der 23-jährigen Putzmacherin Christiane Vulpius, die ihm gegenüber als Bittstellerin für ihren nach dem Jurastudium in Not geratenen Bruder auftrat. Sie wurde seine Geliebte und bald darauf seine Lebensgefährtin sowie Mutter seines Sohnes August Walter.
Wenig bekannt ist über Goethes flüchtige, sentimentale Bindung an eine adelige Dame, die 21-jährige Henriette von Lüttwitz, die er nach der Geburt Augusts auf seiner Schlesienreise 1790 in Breslau kennengelernt und der er einen Heiratsantrag gemacht hatte, den ihr adeliger Vater ablehnte.
Rezeption
Die Leiden des jungen Werther machten Goethe, der bis dahin ein unbekannter Autor war, fast über Nacht zu einer literarischen Berühmtheit. Napoleon Bonaparte betrachtete es als eines der großen Werke der europäischen Literatur, da er in seiner Jugend einen von Goethe inspirierten Monolog geschrieben hatte und Werther auf seinem Feldzug nach Ägypten mit sich führte. Das Buch löste auch das Phänomen des Werther-Fiebers" aus, das junge Männer in ganz Europa dazu veranlasste, sich so zu kleiden, wie es im Roman für Werther beschrieben wird. Es wurden Merchandising-Artikel wie Drucke, verziertes Meißner Porzellan und sogar ein Parfüm hergestellt. Thomas Carlyle prägte den Beinamen Wertherismus", um die Zügellosigkeit des Zeitalters zu beschreiben, für die dieses Phänomen stand.
Thomas Mann sagte über den Roman: "Er ist ein Meisterwerk, hinreißendes Gefühl und frühreifer Sinn, die eine fast einzigartige Mischung ergeben. Sein Thema ist die Jugend und das Genie, und er selbst ist aus der Jugend und dem Genie geboren".
Sowohl bei seinen Kritikern als auch bei seinen Befürwortern löste der Roman heftige Kontroversen aus: Goethe stellt nämlich eine Figur in den Mittelpunkt seines Romans, die völlig gegen die bürgerlichen Regeln und Sitten verstößt - Selbstmord war zu dieser Zeit ein Tabuthema. Die Behörden in Leipzig, wo das Buch erschien, stellten fest, dass das Werk den Selbstmord verherrlichte und hielten es für unmoralisch und verboten den Verkauf - vergeblich
In der neuen, 1787 veröffentlichten Fassung, ging Goethe stärker auf Distanz zum Helden und machte damit das Suizidmodell weniger attraktiv.
Das Buch soll auch zu einigen der ersten bekannten Beispiele für Nachahmungsselbstmorde geführt haben. Die Männer trugen oft die gleiche Kleidung wie in Goethes Beschreibung des Werther und benutzten ähnliche Pistolen. Oft wurde das Buch am Tatort gefunden.
Rüdiger Safranski, ein moderner Goethe-Biograph, tut den Werther-Effekt "nur als hartnäckiges Gerücht" ab. Dennoch wurde dieser Aspekt des "Werther-Fiebers" von der Obrigkeit mit Sorge beobachtet - sowohl der Roman als auch der Werther-Kleidungsstil wurden 1775 in Leipzig verboten; auch in Dänemark und Italien wurde der Roman verboten. Er wurde auch von Schriftstellerkollegen mit Faszination beobachtet.
Verweise
- In Mary Shelleys Frankenstein findet Frankensteins Monster das Buch in einer ledernen Mappe, zusammen mit zwei anderen - Plutarchs "Leben der edlen Griechen und Römer" und Miltons "Verlorenes Paradies" - Er sieht Werthers Fall als ähnlich wie seinen eigenen an, als einen, der von denen, die er liebt, zurückgewiesen wird.
- Thomas Carlyle, der übrigens Goethes Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre" ins Englische übersetzte, bezieht sich in seinem 1836 erschienenen Roman "Sartor Resartus" häufig auf Werthers Beziehung und parodiert sie.
- Der Roman "La Confession d'un enfant du siècle" (1836) des französischen Schriftstellers Alfred de Musset erzählt u.a. von dessen Beziehung zu George Sand und verweist zentral auf Goethes Werther.
Adaptionen
- Der Kritiker Friedrich Nicolai, beschloss, ein satirisches Stück mit einem glücklichen Ende zu schreiben, mit dem Titel "Die Freuden des jungen Werthers", in dem Albert, nachdem er erkannt hatte, was Werther vorhatte, Hühnerblut in die Pistole füllte und damit Werthers Selbstmord vereitelte, und ihm Charlotte glücklicherweise überließ. Nach anfänglichen Schwierigkeiten legt Werther seine leidenschaftliche jugendliche Seite ab und integriert sich wieder in die Gesellschaft als ehrbarer Bürger.
Goethe war jedoch mit den "Freuden" nicht zufrieden und begann einen literarischen Krieg mit Nicolai, der sein ganzes Leben andauerte, indem er ein Gedicht mit dem Titel "Nicolai auf Werthers Grab" schrieb, in dem Nicolai (hier ein vorbeigehender namenloser Fußgänger) auf Werthers Grab kotet, und so das Andenken an einen Werther entweiht, von dem sich Goethe inzwischen ebenso distanziert hatte wie vom Sturm und Drang. Diese Auseinandersetzung wurde in seiner Sammlung kurzer und kritischer Gedichte, den Xenien, und in seinem Schauspiel Faust fortgesetzt. - Der Tscheche Bohumil Hrabal schrieb einen Roman mit dem Titel "Die Leiden des alten Werther".
- Das erste Buch des Statistikers Karl Pearson war "Der neue Werther".
- William Makepeace Thackeray schrieb ein Gedicht mit dem Titel "Die Leiden des Werther", das Goethes Roman persifliert.
- Thomas Manns heiterer Roman "Lotte in Weimar" (1939) erzählt von einem fiktiven Wiedersehen zwischen Goethe und seiner Jugendliebe Charlotte Kestner (geb. Buff) im Alter.
- Ulrich Plenzdorf, ein Dichter aus der DDR, schrieb einen satirischen Roman (und ein Theaterstück) mit dem Titel "Die neuen Leiden des jungen W.", in dem er die Ereignisse in eine ostdeutsche Umgebung verlegt und den Protagonisten als erfolglosen Teenager darstellt, der gegen das System rebelliert.
- Der deutsche Film "Goethe!" (2010) ist eine fiktive Darstellung der Beziehungen zwischen dem jungen Goethe, Charlotte Buff und ihrem Verlobten Kestner, die sich bisweilen an die von Werther, Charlotte und Albert anlehnt.
Literatur
- Rüdiger Bernhardt: Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werther (= Königs Erläuterungen: Textanalyse und Interpretation, Band 79). C. Bange Verlag, Hollfeld 2011, ISBN 978-3-8044-1900-1.
- Andreas Blödorn: Lektüre als Fieberanfall – Empathie als Modell der (An-)Spannung. Mit einer neu gefassten ‚Diagnose‘ der „Leiden des jungen Werthers“. In: Ingo Irsigler, Christoph Jürgensen, Daniela Langer (Hrsg.): Zwischen Text und Leser. Studien zu Begriff, Geschichte und Funktion literarischer Spannung. edition text + kritik, München 2008, S. 165–188, ISBN 978-3-88377-915-7.
- Georg Jäger: Die Wertherwirkung. Ein rezeptionsästhetischer Modellfall. In: Walter Müller-Seidel (Hrsg.): Historizität in Sprach- und Literaturwissenschaft. Vorträge und Berichte der Stuttgarter Germanistentagung 1972. München 1974, S. 389–409.
- Barbara Neymeyr: Intertextuelle Transformationen: Goethes „Werther“, Büchners „Lenz“ und Hauptmanns „Apostel“ als produktives Spannungsfeld. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2012. ISBN 978-3-8253-6044-3.
- Klaus Scherpe: Werther und Wertherwirkung. Zum Syndrom bürgerlicher Gesellschaftsordnung im 18. Jahrhundert, Bad Homburg 1970.
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